Rückblick Workshop "Mehr finanzielle Mittel für mehr Qualität in Angeboten der frühen Kindheit – aber wie?"

Angesichts knapper Ressourcen sind Investitionen in Angebote der frühen Kindheit wie familienergänzende Kinderbetreuung, Spielgruppen, Familienzentren oder Mütter- und Väterberatung oftmals keine Priorität für politische EntscheidungsträgerInnen. Um dies zu ändern, ist es zentral, dass Anbieter und Fachkräfte in der frühen Kindheit sich Gehör verschaffen und ihre Anliegen in lokale politische Prozesse einbringen.

Im Rahmen eines Workshops am 6. November 2018 in Frauenfeld eigneten sich Fachpersonen aus dem Frühbereich neues Wissen über Strategien und Instrumente an, um Politik und Öffentlichkeit für Investitionen zu sensibilisieren. Referate von Fachexpertinnen und -experten lieferten hierfür im ersten Teil der Veranstaltung wertvolle Inputs. Im zweiten Teil wurden im Rahmen von Ateliers zudem konkrete Anliegen vertieft.

Referat "Grundlagen für den Qualitätsausbau" – Janine Rüdisüli, kibesuisse

Im ersten Referat zeigte Janine Rüdisüli, Regionalleiterin Ostschweiz beim Verband Kinderbetreuung Schweiz (kibesuisse), dass viele verschiedene Faktoren die Qualität von Angeboten der frühen Kindheit bestimmen: zum Beispiel die Interaktion zwischen Fachperson und Kind, die Rahmenbedingungen (Betreuungsschlüssel, Ausbildungsniveau der Fachkräfte etc.) und die pädagogischen Grundhaltungen des Personals. Aufgrund dieser Vielschichtigkeit von Qualität haben verschiedene Anspruchsgruppen (z.B. Fachpersonen, Eltern, Politik) oft nicht dasselbe Qualitätsverständnis, obwohl dies sehr wichtig wäre.

Möchten Anbieter oder Fachpersonen ihre Anliegen bei Behörden einbringen, ist es darum auch sehr wichtig, nicht allgemein von Qualität zu sprechen, sondern zu präzisieren, wofür und welche Art von Qualität man ausbauen möchte. Die Forderung sollte mit inhaltlichen Argumenten (z.B. positiver Effekt qualitativ hochstehender Angebote auf die Entwicklung des Kindes) sowie Zahlen und Fakten (z.B. wie viel ein Kita-Platz kostet, wieviel Fachpersonen es pro Gruppe braucht) untermauert werden. Es braucht Sensibilisierung für die effektiven Kosten qualitativ guter familienergänzender Betreuung.

Für gute Grundlagen für den Qualitätsausbau braucht es Engagement auf verschiedenen Ebenen: Kanton, Gemeinden, private Akteure. Der Kanton steuert aber oft nur minimal und die Umsetzung der Angebote durch Gemeinden und private Institutionen erfolgt sehr unterschiedlich. Jedes Angebot kann aber auch ohne zusätzliche Investitionen etwas für den Qualitätsausbau tun: z.B. an Teamsitzungen auf die Bedeutung der Fachperson-Kind-Interaktion hinweisen, unterstützende Materialien in Anspruch nehmen (z.B. Leitlinien von kibesuisse oder der Orientierungsrahmen für frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung). Erreichte Qualitätsfortschritte sollen gegen aussen sichtbar gemacht werden (gegenüber Eltern, Gemeinde). Das steigert die Attraktivität des Angebots und erlaubt damit auch wieder neue Qualitätsfortschritte.

Referat "Grundlagen von erfolgreichem Lobbying" – Reto Wiesli, polsan - Büro für Politikanalyse und –beratung

Reto Wiesli, Partner bei polsan – Büro für Politikanalyse und -beratung, referierte zu den Grundlagen und Voraussetzungen von erfolgreichem Lobbying. Lobbying bedeutet, bei EntscheidungsträgerInnen für sein Anliegen zu werben. Um Lobbying zu betreiben, muss man zuerst definieren, welches Ziel man hat, welche Leistung man anbieten kann und wie man diese gut positioniert, wer die relevanten EntscheidungsträgerInnen sind und welche weiteren Akteure die gleichen Anliegen haben. Man muss zudem wissen, wie der eigene Politikbereich reguliert ist und was sich verändern muss, damit man sein Ziel erreicht. Bevor man an EntscheidungsträgerInnen herantritt, muss man sein Anliegen analysieren: Was sind die Stärken/Schwächen, wo gibt es Gelegenheiten/Risiken?

Der politische Prozess ist ein kontinuierlicher Kreislauf. Dadurch ergeben sich immer wieder neue Chancen, um sein Anliegen auf die politische Agenda zu bringen. Ein gesellschaftliches Problem wird von der Politik aufgenommen, wenn der Druck, dieses zu lösen, genügend gross erscheint. Erfolgreiches Lobbying trägt dazu bei, die EntscheidungsträgerInnen davon zu überzeugen, dass in einem bestimmten Bereich ein Problem bzw. Handlungsbedarf besteht und eine politische Lösung gefunden werden muss.

Um eine Lobbying-Strategie zu erarbeiten und umzusetzen, muss man Wissen über die zuständigen EntscheidungsträgerInnen haben. Viele Informationen über die Person findet man einfach heraus. Wertvorstellungen und das persönliche Wissen des Entscheidungsträgers zum Thema zu kennen, ist jedoch schwieriger. Gezielte und gut vorbereitete persönliche Gespräche mit der Zielperson sind daher zentral und das effektivste Lobbying-Instrument.

Referat "Erfolgreiches Lobbying für Angebote der frühen Kindheit in der Ostschweiz" – Maya Mulle, Netzwerk Bildung und Familie

Maya Mulle, Geschäftsleiterin des Netzwerks Bildung und Familie, sprach in ihrem Referat das Thema Lobbying im spezifischen Kontext des Bereichs frühe Kindheit an.

Ein Indikator für erfolgreiches Lobbying ist z.B., wenn Fachpersonen für Behörden zu Ansprechpersonen werden und die Vernetzung funktioniert. Lobbying baut auf persönlicher Glaubwürdigkeit auf. Gerade auf kommunaler Ebene kann man auch mit wenig Ressourcen seine Themen durch persönliches Engagement bei Schlüsselpersonen einbringen. Auch freiwillige Arbeit, z.B. in Vereinen, helfen bei der Vernetzung mit Schlüsselpersonen und das eigene Wissen wird so auch gefördert.

Die wichtigen Akteure im eigenen Berufsfeld zu kennen und sich mit ihnen zu vernetzen ist zentral. Z.B. ist an Anlässen die Teilnehmerliste das wichtigste Instrument, um gezielt auf die Personen zugehen zu können, mit denen man in Kontakt treten will. In Diskussionen sollte man darauf achten, ob das eigene Anliegen thematisiert wird: Werden zum Beispiel die Spielgruppen und weitere Angebote auch erwähnt, wenn es um die frühe Kindheit geht, oder nur die Kitas?

LobbyistInnen müssen zudem die kritischen Fragen zum eigenen Anliegen und die guten Antworten darauf kennen. Auch auf "otschlagargumente" (z.B. "Wir brauchen keine Angebote im Frühbereich") muss man mit passender Argumentation reagieren können.

Um für das Lobbying eine gute Argumentation aufzubauen, muss man sich in die Position der EntscheidungsträgerInnen versetzen und sich fragen, welchen Mehrwert das eigene Angebot der Gemeinde bringt und welche positiven Auswirkungen es auf die Gemeinde / die Bevölkerung hat. Dies muss man den Behörden aufzeigen können.

Gruppen-Diskussionen: Die Vernetzung der Fachpersonen mit EntscheidungsträgerInnen und die Koordination gemeinsamer Anliegen der Akteure im Frühbereich sind zentral

Im zweiten Teil der Veranstaltung wurden in Gruppen verschiedene Anliegen aus der Praxis der teilnehmenden Fachpersonen besprochen.

Die erste Gruppe kam aufgrund verschiedener Beispiele zum Schluss, dass die Beziehungsqualität zwischen dem Akteur (z.B. Verein) und der Gemeinde zentral ist. Wo gute Beziehungen zu EntscheidungsträgerInnen vorhanden sind, ist die Gemeinde eher bereit, in ein Angebot zu investieren. Darum ist es zentral, dass Anbieter/Vereine aktiv wichtige Beziehungen aufbauen, z.B. indem PolitikerInnen für ein Vorstandsamt oder Präsidium angeworben werden. In der Gruppe wurde ebenfalls das Verhältnis der Anbieter zum Kanton angesprochen. Die Akteure im Kanton vernetzen sich immer mehr, was eine wichtige Grundlage für Lobbying ist. In vielen Kantonen sind primär die Gemeinden für Angebote im Frühbereich zuständig. Dies erschwert die Übersicht über die bestehenden Angebote im Kanton. Z.B. im Thurgau hat das Kantonsparlament nun aber eine Bestandsaufnahme der Angebote angefordert.

Die Diskussion in der zweiten Gruppe drehte sich v.a. um die Koordination und Kooperation zwischen verschiedenen Angeboten im Frühbereich. Angebote der Kinderbetreuung, Frühen Förderung, Familienstärkung und Familienberatung sollten kooperieren und sich koordinieren, nicht konkurrenzieren. Auch gegenüber Behörden sollte man ganzheitlich aufzeigen: Jedes Angebot im Frühbereich leistet einen Beitrag zum gesunden Aufwachsen der Kinder und zur Unterstützung der Familien. Wie im ersten Referat von Janine Rüdisüli erwähnt, wäre ein gemeinsames Qualitätsverständnis – auch zwischen den verschiedenen Angeboten im Frühbereich – dafür wichtig. Dabei sollte das Kind immer im Zentrum stehen und aufgezeigt werden: Wenn die Qualität der Angebote und Fachpersonen im Frühbereich gestärkt wird, nützt das letztlich immer auch dem Kind.

In der dritten Gruppe wurden verschiedene Beispiele besprochen, bei denen Institutionen aus dem Bereich frühe Kindheit erfolgreich lobbyiert haben. Selbstbewusstes Auftreten der Anbieter gegenüber Behörden wird dabei als Erfolgsfaktor gesehen: Anbieter müssen aufzeigen, dass ihre Leistung – v.a. wenn sie qualitativ gut sein soll – etwas kostet und die öffentliche Hand einen Anteil tragen muss, damit die Kosten nicht auf die Eltern überwälzt werden müssen. Ein weiteres besprochenes Beispiel zeigte auf, dass gerade bei wenig regulierten Angeboten (z.B. Spielgruppen) vertrauensbildende Massnahmen zwischen Anbietern und Behörden sehr wichtig sind. Im besprochenen Fall stellte die öffentliche Hand Mittel für Spielgruppen zur Verfügung, die von den Anbietern dann aber nur teilweise in Anspruch genommen wurden, obwohl eigentlich Bedarf bestünde. Dass bei kaum regulierten Angeboten keine institutionalisierte Form der Zusammenarbeit zwischen Behörden und Anbietern besteht, kann hierfür ein Grund sein.

In der vierten Gruppe wurde v.a. die Kooperation zwischen Anbietern im Frühbereich und kommunalen Behörden besprochen. Zentral ist, den Gemeinden ganz konkret den Nutzen eines Angebots aufzeigen zu können, z.B. wie ein Projekt zur frühkindlichen Bildung, Prävention, sozialen Integration oder Gesundheitsförderung beiträgt. Dabei kann es auf Gemeindeebene schon von grosser Bedeutung sein, wenn eine einzige Person in einer Schlüsselposition überzeugt wird: Diese kann innerhalb der Gemeindeverwaltung und -politik eine wichtige Multiplikatorin sein. Für die Argumentation gegenüber EntscheidungsträgerInnen ist es zentral, vorher eine Standortbestimmung des Angebots in der Gemeinde zu machen: Welche Angebote gibt es bereits und wo sind die Lücken? Wie trägt das eigene Angebot dazu bei, Lücken zu schliessen oder bestimmte Zielgruppen besser zu erreichen? Behörden messen heute dem Schulbereich oft viel mehr Bedeutung zu als dem Vorschulbereich. Darum muss auch aufgezeigt werden, dass Investitionen in den Vorschulbereich langfristig positive Auswirkungen haben – auch auf die spätere Schulbildung.

Als Fazit kann festgehalten werden, dass es heute im Frühbereich eine Vielzahl von Strukturen und Angeboten mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen und Anliegen gibt. Für Anbieter ist es daher auch nicht immer einfach, das eigene Angebot gegenüber Behörden zu positionieren. Für erfolgreiches Lobbying ist es zentral, den Schlüsselpersonen in Politik und Verwaltung konkret aufzuzeigen, welchen Mehrwert das eigene Angebot der Gemeinde / dem Kanton bringt. Das Wohl und die Entwicklung des Kindes mag in der Argumentation manchmal in den Hintergrund rücken; es ist und bleibt aber das wichtigste Argument für Investitionen in den Qualitätsausbau im Frühbereich.

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